Claudia Klučarić

Text von Andreas Spiegl aus dem Katalog LA PALOMA (I said I love. That is the promise), erschienen zur gleichnamigen Ausstellung in der Galerie am Kirchplatz, Hartberg 1999

Dieser Realismus ist nicht von dieser Welt...

Wenn Gesichter fotografiert oder gefilmt werden und diese dabei in die Kamera schauen, dann übernimmt die Kamera die Position eines virtuellen Gegenübers, mit dem man sich angesichts der letztlich produzierten Bilder auch identifiziert. Diese Augen starren mich an, obwohl sie mich nie gesehen haben. Diese Nähe ist gemeint, aber nicht präzisiert. Ihre Aufmerksamkeit gilt einer virtuellen Rezeption. Das Zentrum ihrer Fokussierung bleibt leer. Eine Identifikation mit dem Adressaten des reproduzierten Blicks beruht genauso auf einer Verkennung wie das Lacansche Begehren im objet petit a die Erfüllung des Mangels erkennen möchte. Dieser Trugschluss basiert darauf, dass in dem Moment, indem das Begehren seinem Objekt der Begierde auch habhaft wird, das Begehren selbst zu verschwinden scheint - aber nur, um im nächsten Moment wieder an anderer Stelle aufzutauchen. Davon lebt der Konsum, und davon leben die Bilder, die dieses Begehren evozieren. Das Wissen um diesen Trugschluss ist konstitutiv für einen Markt, der Bilder vorschiebt, um das Begehren nach dem "echten" Gegenstand der Begierde zu wecken. Diese Bilder versprechen nicht nur eine Nähe, sondern vermitteln zugleich, dass es sich eben nur um ein Versprechen, um eine virtuelle und letztlich um eine falsche Nähe handelt. Es geht nicht um das Bild an sich, sondern um das eigentliche Vorbild des Bildes - wenn man so will; um das Urbild, die Ware selbst. Darin artikuliert sich ein Vergehen an der Sichtbarkeit. Die Attraktivität eines Bildes wendet sich primär an das Auge, das de facto gar nicht gemeint ist, sondern instrumentalisiert wird, um eine weitere Handlung, den faktischen Erwerb, in Gang zu setzen. Die traurige Geschichte für Freunde der Sichtbarkeit um ihrer selbst willen besteht darin, dass der Sichtbarkeit selbst, d.h. dem Blick zwischen Sehen und Gesehen-Werden nur die Bedeutung eines Vorspanns oder Prologs für das eigentliche Stück zuerkannt wird. D.h. in einer Kultur, die sich nur mehr über Bilder transportiert, artikuliert sich paradoxerweise eine Ignoranz gegenüber dem Sichtbaren selbst.
Die Diskussionen um den kommodifizierten Blick und um die Warenförmigkeit der Sichtbarkeit bilden mit einen der Hintergründe, von denen aus man auf die Arbeiten von Claudia Klučarić blicken kann. Nicht zuletzt deshalb, weil manche ihrer Motive auf reproduzierte Bilder zurück gehen. Kurz beschrieben könnte man ihre Arbeiten in dieser Publikation als Versuch definieren, - so paradox das klingen mag: aus Bildern wieder Bilder zu machen - oder anders ausgedrückt: das Auge, das in den Reproduktionen ursprünglich als blinder Fleck adressiert wurde, wieder zum eigentlichen Adressat der Sichtbarkeit zu machen. Dies legt auch nahe, warum sie in ihren Zeichnungen gerade dem Motiv der Augen ihre Aufmerksamkeit zuwendet, jedes Blatt widmet sich einem "Augen-Blick" und jeder Augenblick vermittelt eine Stimmung, die über das Posieren für die Kamera hinausgeht. Um diese Stimmungen zu unterstreichen, "umstreicht" sie die isolierten Ausschnitte mit bloßen Farbinformationen, die das realistische Abbild zur Stimmigkeit abstrahieren. Die abstrakten Formen, die den Blick auf die realistisch gezeichneten Augenblicke freigeben, unterstreichen ihrerseits die Abstraktion des Realismus selbst. Denn das, was greifbar nah erscheint, ist nur fürs Auge zu erreichen. Schon Walter Benjamin hat in seiner Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit signifikanterweise auf das Phänomen der Aura verwiesen - als Erscheinung einer Ferne, so nah diese sein mag. In diesem Sinne versprühen ihre Arbeiten eine Aura, man möchte sagen: eine Melancholie angesichts der Ferne ihrer Motive, so nah diese auch sein mögen. Ihr Realismus ist nicht von dieser Welt. Paradoxerweise werden die Arbeiten damit zu einem Indikator für eine Entfremdung, die nah erscheint, so fern diese auch sein mag. Und darin erzählen die Zeichnungen doch auch von einem Realismus dieser Welt, und deshalb eben nur von einem 'trying to kiss...', so der Titel einer Arbeit.
Andreas Spiegl

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