Claudia Klučarić

Text von Harald Jurkovič aus dem Katalog LA PALOMA (I said I love. That is the promise), erschienen zur gleichnamigen Ausstellung in der Galerie am Kirchplatz, Hartberg 1999

Augen zeugen

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Kreise, Ovale, allein stehend oder konzentrisch ineinandergefügt, geometrische Formen, schwimmend im Farbmeer. Doppelte und dreifache Einbettung dessen, was der Körper von sich der Sichtbarkeit preisgibt: Augen, Blicke, Gesichter, manchmal auch ein wenig mehr. Ausschnitte, wie in einem Taschenspiegel fokussiert. Farbliche Intensität der monochromen Felder, die sich wie Augen öffnen, um Einblick zu gewähren und Bilder aus sich zu entlassen. So sieht uns das, was wir sehen, seinerseits an. Vom ersten Augenblick an sieht sich der Betrachter vor der neuen Zeichnungsserie von Claudia Klučarić , die den beziehungsreichen Titel 'LA PALOMA (l said that l love. That is the promise)' trägt, in eine dialogische Situation versetzt, auf die er sich - dies ist die unumgängliche Bedingung des Verstehens - einlassen muß. Dann kann jene stumme Zwiesprache beginnen, die sich am Theater der Blicke, das eine Reihe situativer und vor allem emotionaler Zustände umfaßt, und den von ihnen ausgelösten Gedanken und Gefühlen entzündet.

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Ins Auge gefaßt wird, was tagtäglich in Zeitschriften und auf Plakaten vor Augen steht: als Bild einer imaginären Wirklichkeit, die sich als idealer Entwurf neben das Tatsächliche schiebt, es infiltriert, überlagert und verdrängt. Kritische Analyse und skeptische Hinterfragung ihrer Funktion, die gegenüber solchen von der Konsumindustrie instrumentalisierten Wunsch-Bildern angebracht erscheinen, werden allerdings von ihrer unmittelbaren psychologischen Wirkung permanent unterlaufen. Um den Bann der Faszination, die sie auf uns ausüben, zu brechen, müssen wir sie entweder zerstören oder verdoppeln, sei es in der Phantasie oder in der Realität. Der Umgang mit dem Phänomen kann aber auch andere Formen annehmen und besteht im konkreten Fall darin, das diesen Bildern innewohnende symbolische und emotionale Potential im Zuge einer kreativen Aneignung für künstlerische Zwecke nutzbar zu machen. Dieser Prozeß vollzieht sich sowohl auf der medialen als auch auf der gedanklichen Ebene: als Übertragung des photographischen Bildes in die bei aller Genauigkeit doch immer subjektive Handschrift der Zeichnung, wie als formale Überarbeitung und Kombination mit Text-Zitaten, die in ihrem Zusammenwirken einen neuen Inhalt konstituieren.

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Indem das vorgeprägte Bild durch diesen Transformationsprozeß hindurchgeht, wird es tauglich zur Vermittlung ganz persönlicher und privater Aussagen. Die ihm zugeordneten Worte und Sätze dürfen dabei nicht als bloßer Titel mißverstanden werden (diese Funktion erfüllen sie gleichsam nebenbei), sondern sind eigenständige Bestandteile der Arbeiten. Sie bilden eine Art assoziative Matrix, die das dargestellte Motiv mit zusätzlichen inhaltlichen Konnotationen versieht und dadurch die Aussage erweitert und zugleich näher bestimmt. Obwohl die Sprache der Bilder und jene des geschriebenen Wortes ursprünglich zwei völlig verschiedenen Kontexten - der Werbung und der Literatur - angehören und das poetische Potential der Sätze mit ihren Metaphern und ihrer anspielungsreich-offenen Semantik die explizite Hochglanzästhetik der photographischen Bilder konterkariert, werden sie aufeinander bezogen und zu einer unlösbaren Einheit verbunden. Die sich überlagernden Sinnschichten befruchten sich gegenseitig und lassen dadurch jenes Bedeutungsfeld entstehen, dessen komplexe Struktur sich nur dann erschließt, wenn man sich ihm sowohl auf der intellektuell-analytischen als auch auf der intuitiv-sinnlichen Ebene nähert.

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Ist das Auge, das zusammen mit dem von ihm ausgehenden Blick das zentrale Motiv dieser Zeichnungen darstellt, Spiegel oder Öffnung? Es ist beides, und das Bild, das auf bzw. in ihm erscheint, erweist sich als Kreuzungspunkt von innen und außen. Eindruck und Ausdruck, das Reale und das Imaginäre treffen hier aufeinander und vereinigen sich im Symbolischen des Bildes, das als solches der Mitteilung fähig wird. Dies ist eine überzeugende Antwort auf die Frage, wie sich eine Beziehung herstellen läßt zwischen der individuellen Erfahrung und den mit sozialen Codes und vorgefertigten Bedeutungen gesättigten öffentlichen Bildern, die als massenmediale Produkte unsere Wahrnehmung und unsere Phantasie überschwemmen. Auf diese Weise kann das Auge wiederum zum "Fenster der Seele" (ein seit der Antike bekannter und beliebter Topos) werden, um etwas preiszugeben, für das es genaugenommen keine Bilder und keine Worte gibt. Das angesichts des Unsagbaren drohende Schweigen zu überwinden, ist hier die eigentliche Aufgabe der Kunst. Auf sie läßt sich anwenden, was der Romantiker Novalis auf unübertreffliche Weise so formuliert hat: "Das Äußere ist ein in Geheimzustand erhobenes Innre".

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Wenn dieses trotz aller Widerstände Bildgewordene eine Geschichte erzählt - und die Kontinuität des Bildvokabulars wie die durchgehende formale Stringenz der Blätter legen dies nahe -, dann kann es sich nur um eine Liebesgeschichte handeln. In der Liebe geht es wie beim Reisen in erster Linie um die Überwindung von Distanzen, um schließlich irgendwo anzukommen. Ein Aufbruch ins Unbekannte, an dessen Beginn die Sehnsucht steht, als eine Bewegung, die nach einer Richtung sucht, nach einem Ziel, das lohnend erscheint, vielleicht sogar Erfüllung verheißt. Sehen und sehnen haben also miteinander zu tun, bedingen sich gegenseitig in ihrem Ringen um konkrete Orientierung. Das Sehen als Form der Zuwendung und zugleich als Mittel der Wahrnehmung auf Distanz und, vor allem, über diese hinweg, wird auf diese Weise zur Grundlage für die Möglichkeit von Wissen wie von Nähe, von Erkenntnis im tiefsten und intimsten Sinne. Im liebenden Blick nimmt das Auge und mit ihm der ganze Mensch das Andere in sich auf, um nicht nur ein Gegenüber zu finden, sondern auch sich selbst.

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"Entdecken - Erobern - Lieben - Kennen": die vier Kapitelüberschriften, mit denen Tzvetan Todorov sein Buch über Die Eroberung Amerikas gliedert, lassen sich leitmotivisch auch der Zeichnungsfolge von Claudia Klucaric unterlegen. So klingt etwa das Motiv der Meerfahrt sowohl im Titel der Serie wie in den Bildunterschriften mehrfach an: 'das Leben in den Armen der Wellen' steht dementsprechend am Beginn, der Blick himmelwärts zu den Sternen gerichtet, von denen man sich Orientierung erhofft. Bis der/die Reisende schließlich - im vorletzten Blatt - am Ziel angelangt vor Anker liegt. Kolumbus war sein Leben lang der Überzeugung, das irdische Paradies gefunden zu haben. Doch während den historischen Seefahrern das, was sie entdeckten, fremd blieb und es dadurch zum Objekt von Beherrschung und Ausbeutung machen konnten, findet die von der Künstlerin dargestellte Beziehung ihre Erfüllung im vertrauensvollen gegenseitigen Sich-Öffnen. Über alle äußeren Entfernungen und die damit unabdingbar verbundene Sehnsucht hinweg besteht die Liebe im Wissen darum, daß dieser Schatz nur dann reich macht, wenn man nicht mehr nimmt, als man selber zu geben bereit ist.
Harald Jurkovič

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