20 kg Erdung


Man sagt: "Das fällt nicht ins Gewicht". In der Summe tut es das dann aber doch.

Die vielen, meist kleinen Steine haben zusammen ein Gewicht von 20 kg.

Die Beschwernisse, die man sich aufbürdet und aufbürden läßt, nimmt man einzeln nicht oder kaum wahr, addieren sich jedoch zu einem deutlich spürbaren Ballast. Oftmals übernehmen wir Lasten unbewußt und unhinterfragt von unseren Vorfahren wie auch von der Gesellschaft, in Form von Wertvorstellungen, Rollenbildern etc.
Diese sind vielleicht im Laufe der Zeit schon kleiner geworden – wie Steine, die einen langen Weg zurückgelegt und sich dabei abgeschliffen haben und sich nun glatt und geschmeidig anfühlen. Sie haben keine Ecken oder Kanten mehr; sind keine Edelsteine, aber durchaus ansehnlich, gewissermaßen "kleidsam".
So werden sie zur zweiten Haut, fühlen sich eventuell sogar an wie ein Schutz(mantel) – bilden sie doch auch eine Art Panzer, ähnlich wie eine Krankheit es tut. Jedenfalls kann es passieren, daß man beginnt sich durch sie zu definieren oder sich gar mit ihnen zu identifizieren.

In Summe behindern diese jeweils für sich meist kaum wahrnehmbaren Beschwernisse, und daher wäre es nötig, jede einzelne von ihnen zu hinterfragen und, sofern möglich, abzulegen. Der Umstand, daß dadurch eine Lücke entsteht, macht es weder leicht sie loszulassen, noch, die Leerstelle nicht umgehend durch die nächste Belastung zu füllen, um das gewohnte (Gleich-)Gewicht wieder herzustellen.
Denn: Wer ist man ohne die zur Gewohnheit gewordenen Hindernisse? Welche Möglichkeiten und Notwendigkeiten tun sich auf? Welche Ängste kommen dann zum Vorschein?

Zum Kern seines Selbst vorzudringen gelingt nur, wenn man sich nicht scheut abzulegen, wodurch man im Laufe der Zeit (von anderen und einem selbst) definiert wurde, auch wenn einem dieses Kleid gut steht oder man stolz darauf ist, es tragen zu können bzw. zu dürfen.
Wer ist man, wenn man ohne diesen Stolz auf dieses Kleid auskommen muß? Was bleibt? Wer ist man ohne Besitz, wer sind wir ohne Kind, Partner, Familie, Beruf, ohne unseren Platz und unseren Rang in der Gesellschaft, mit der ihnen jeweils eigenen Bürde, die sie für uns bedeuten?



gewidmet meinem lieben Freund Harald Jurkovič (1959-2018)