Claudia Klučarić

Text von Rainer Fuchs aus dem Katalog GINKGO, erschienen anläßlich der Ausstellung "communication systems" und GINKGO im Künstlerhaus Graz, 1998

Konstruktion und/als Poesie
Anmerkungen zu einigen Arbeiten von Claudia Klučarić

In einer Reihe neuerer Bilder hat Claudia Klučarić Fotografien aus Illustrierten in fotorealistischer Manier mit Buntstiften abgebildet und an den Rändern mit Zitaten aus literarischen Texten versehen. Auf den ersten Blick scheint sich hier handschriftliche Notiz mit Medienrealtät zu verbinden, doch weil auch der stupende Realismus dieser Bilder ein Resultat handschriftlicher Arbeit ist, werden die Grenzen zwischen individueller Schrift und medialer Bilderproduktion bewußt unterlaufen. Die, der bloß bildlichen Illustration gegenüber gewöhnlich distanzierte Welt der Literatur, sowie die, den Text meist nur mehr als notwendiges Übel in Kauf nehmende Bilderindustrie, sind in Klučarićs Arbeiten einander zugeordnet und brechen in dieser Zuordnung sowohl die Vorstellung der reinen Visualität von Bildern wie auch die der reinen Textualität der Schrift auf. Die von poetisch-literarischen Texten evozierte Imagination von Bildern, sowie die in den Bildern selbst eingeschriebenen Ideologien und intelligiblen Konzepte erscheinen durch den Wechselbezug von Bildern und Texten erinnert und verdeutlicht. Dieses Erinnern intermedialer Funktionsweisen und semantischer Komplexität wird gerade dort erkennbar und darstellbar, wo Bild und Text einander nicht in didaktischer Weise erklären oder bestätigen, sondern einer wechselweisen Öffnung klischeehafter Lesbarkeiten dienen.

Der Text der "unter" dem Bild, bzw. im Bild steht, veranlaßt in der Interpretation dieser Bilder zunächst eine unmittelbare Beziehung herzustellen, eine Zuordnung im Sinne einer Klärung des Bildes durch den Text bzw. des Textes durch das Bild vorzunehmen. Doch eine solche Klärung kann hier "nur" in der Interpretation einer von der Künstlerin offerierten poetisch-offenen Anspielung liegen, deren Vorläufigkeit und Zufälligkeit dem Betrachter die Bedeutung seiner eigenen Rolle als sinnstiftenden Interpreten vermittelt. Daß die als Materialien benutzten Bilder und Textzitate ursprünglich nicht füreinander gedacht waren, daß ihr je eigener Kontext, die Art ihrer Erscheinung und Diktion bestimmte, ist nicht Hindernis, sondern im Gegenteil Herausforderung, sie in einen Dialog zu verspannen um damit auch die ihnen von vorneherein eigene Mehrdeutigkeit und Kontingenz zu veranschaulichen.

Aber von welchen Bildvorlagen ist hier konkret die Rede? Unter den ausgewählten Sujets bilden jene einen Schwerpunkt, in denen das Motiv des Blickes eine besondere Rolle spielt. Seien es die Blicke junger Frauen auf den Betrachter, auf unsichtbare Protagonisten einer innerbildlichen Handlung, oder sei es der dem Betrachter zugewiesene Blick auf den weiblichen Körper. Der fotografisch oder filmisch inszenierte weibliche Körper in einer, die Klischees des Weiblichen fetischisierenden und bisweilen voyeuristisch fokusierenden Optik bilden innerhalb dieser Arbeiten einen wesentlichen thematischen Ansatzpunkt. Es dominiert der über die Kamera und das Licht als genuiner Komplizenschaft konstruierte Bildauschnitt, vorzugsweise in fragmenthaften Blow-Ups und Stills, die mit dem bereits medial konditioniertem Betrachter rechnen. Auf das Motiv der Kamera und das fotochemisch konstruierte Image als Vorlage, bzw. auf das Faktum, daß es sich bei diesen Bildern um Reproduktionen des bereits medial Reproduzierten handelt, verweisen zudem jene Blätter, die die in Schwarz-Weiß aufgenommenen Motive "nachstellen", die also mittels Farben Farblosigkeit reinszenieren.

Doch diese Technik der zeichnerisch-malerischen Reproduktion des bereits Reproduzierten, bzw. der manuellen Imitation der schon technisch produzierten Imitationen ist ein in sich bewußt widersprüchliches Abbildungsverfahren zur Thematik des Abbildens. Diese Art des Reproduzierens mündet in handwerklich erzeugte, singuläre Originale, die auch durch den Anspruch des poetisch Imaginären die bloße Wiederholbarkeit und Berechenbarkeit als Fiktion konterkarieren. Die duale Vorstellung von der technischen Reproduktion als Signum des Fortschrittlichen einerseits, sowie dem Original als Inkunabel eines elitären Konservatismus andererseits - wie sie noch Walter Benjamins Diktion vom Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit beflügeln konnte - ist heute nicht mehr als unantastbare, wohl aber als reflexiv zu behandelnde Maxime zu verstehen. Die von der Künstlerin betriebene Reoriginalisierung von Reproduktionen bedeutet nicht einfach eine Rückkehr zu überholten Kunstvorstellungen (auch nicht zu jener des Fotorealismus der 70er Jahre), sondern eine Interpretation des technischen Reproduzierens als einer ihrerseits zur Verinnerlichung und damit Ausblendung von Konstruktionsmerkmalen neigenden Interpretationstechnik.

Daß gerade die Reproduktion der Reproduktion in ein Original umschlagen kann, spottet jedem linear progressiven Entwicklungsdenken und rückt über die Beziehung traditioneller Bildmedien wie Malerei und Zeichnung zu den technischen Medien erstere wiederum in den aktuellen Diskurs. Aber es sind nicht zuletzt die im Bereich der Fotografie, des Films und der computergestützten Bildproduktion selbst manifest gewordenen Manipulations- und Animationstechniken, die diese Medien nicht mehr als Instrumentarien der bloßen Dokumentation oder Wiedergabe von Realität, sondern vielmehr als Vehikel der Konstruktion bzw. Erfindung von Wirklichkeiten ausweisen und aus dieser Position heraus auch der Malerei als genuiner Konstruktions- als Manipulationstechnik erneute Aufmerksamkeit zukommen lassen. Dabei rücken insbesonders jene Positionen der Malerei ins Blickfeld, die sich ihrerseits auf Medienrealität, bzw. auf den Einfluß von Medieninformation auf die Wahrnehmung und deren erneute Umsetzung in Bildwelten beziehen. Klučarićs Verwendung und Verarbeitung von Medienbildern ist in diesem Zusammenhang aber nicht als bloße Aktualisierung traditioneller handwerklicher Kunstübung zu betrachten, denn über die gewählten Motive geraten auch deren mediale Rahmenbedingungen zu Darstellung. Wo ein Medium durch Darstellung in einem anderen gleichsam zu sich selbst auf Distanz gebracht wird, entsteht eine sonst nicht aufscheinende Sichtbarkeit und Benennbarkeit.

Zeichnerisch-malerisch imitierte Fotografie thematisiert also vermittels der manuellen Erstellung des Bildes auch die bereits in den gewählten Bildvorlagen evidente Kunst des Erstellens. So verweisen Klučarićs Arbeiten u.a. auf die jeder Reproduktion eingeschriebene Erfindung und Konstruktion von Realität. Poesie und Imagination sind in diesem Zusammenhang keine bloßen Zugaben oder Überhöhungen, sondern konnotative Phänomene.
Rainer Fuchs

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