Claudia Klučarić

Text von Günter Eichberger, abgedruckt in Leere Abwesenheitsmitteilung. Versuche, Sonderzahl Verlag, Wien 2010

DIE UNBEDINGTHEIT DER DINGE
Porträt Claudia Klučarić

Als ich zum ersten Mal Zeichnungen von Claudia Klučarić sah, fielen mir paradoxerweise zuerst einmal die ausgesprochen poetischen Bildinschriften auf. 'bleibt nur eins die Augen sehr weit aufzureißen sich träumen zu lassen statt zu träumen' (ein Zitat von Felix Philipp Ingold) oder 'atemhilfe oder kehlesichdurchschneidbefreiungszwangdrang' (ein Wortungetüm der Künstlerin). Es handelt sich dabei nicht um Titel, sondern Inschriften, integrale Bestandteile der Arbeiten, deren assoziativer Zusammenhang sich erst nach längerer Betrachtung erschließt. Mir wurde klar, daß sich hier jemand intensiv mit Sprache und Dichtung beschäftigt. Durch die kalligraphische Handschrift von Klučarić bekommen die Worte etwas nicht nur Zeichenhaftes, sondern Zeichnerisches. Und das Ergebnis ist eine Poesie auf mehreren Ebenen.

Was aber gibt es auf ihren Buntstiftzeichnungen zu sehen? Auf dem Blatt 'sich näherkommen
haben wir ein in dieser Zusammenstellung gleichsam surreales Ensemble: Zwei Boxer beim Schlagabtausch, ein vertikal gestelltes Augenpaar und eine Teekanne. Auf einem Hintergrund, der entweder als Zimmer (Fußboden und Wand) oder als bloße Farbfläche gesehen werden kann. Diese für sich stehenden Elemente erscheinen mir als trügerisches häusliches Idyll, heimtückisch in warmen Farbtönen gestrichelt. Denn das (hintergründige) Thema des Blattes ist wohl der Kampf der Geschlechter. Die "Annäherung" als Angriff und Abwehr.

Kampf-Metaphern durchziehen Claudia Klučarićs Arbeiten: 'ZÄHMEN. Mit dir zu kämpfen habe ich Lust wie man Wasser schluckt gegen den Durst' oder 'you haven't got the power to destroy me'. Dennoch wirkt ihre Kunst eher (auf eine subtile Weise) ironisch als aggressiv. Auch wenn sie selbst nicht als Ironikerin bezeichnet - und dadurch eingeschränkt - werden will: "Manche verwechseln vielleicht meinen Zugang zur Relativität der Dinge in ihrer gleichzeitigen Unbedingtheit mit Ironie. Aber vielleicht haben sie ja recht." Es gibt einen Hang zum Abgründigen und Letalen schon in ihren frühen Blättern. Anonyme Hände tasten sich an einen Hals heran ('würgfeigenfinger', 1994), Messer machen sich selbständig und Äxte treffen sicher ins Kreuz. Als Pessimistin und gleichzeitig unverbesserliche Romantikerin sieht sie sich.

Beide Seiten von ihr präsentieren zwei ihrer stärksten Zyklen. 'GINKGO' (1997) entstand in einer persönlichen Zwangslage. Eine der Zeichnungen zeigt ein Ginkgoblatt, das eine befruchtete Eizelle symbolisiert ('das leben absaugen wie einen teppich'). Im Kontrast dazu gibt es Frauen-Bilder, wie die bunte Werbewelt sie entwirft, die wiederum durch dunkle Zeilen von Paul Celan bis Gertrude Stein gebrochen werden. Mit stupender Technik hat Klučarić Fotografien aus Illustrierten akribisch nachgezeichnet. Rainer Fuchs schreibt dazu: "Auf den ersten Blick scheint sich hier handschriftliche Notiz mit Medienrealität zu verbinden, doch weil auch der Realismus dieser Bilder ein Resultat handschriftlicher Arbeit ist, werden die Grenzen zwischen individueller Schrift und medialer Bilderproduktion bewußt unterlaufen."
'LA PALOMA' (1999) besteht aus neun Buntstiftzeichnungen. Augen und Gesichter in Ovalen und Kreisen, imaginäre Noten zu einem Liebeslied, das Nick Drake gesungen haben könnte. Von "lustvollem Sehnsuchtsernst" spricht Klučarić in diesem Zusammenhang. Wen sehen diese (weiblichen) Augenpaare an? Den Geliebten, den Betrachter - oder geht ihr Blick ins Leere? Augen gelten in einer schon etwas verblaßten Metapher als "Fenster zur Seele". Und diese Fenster stehen hier träumerisch weit offen. Wimpern werden zum Gestrüpp, zum Dschungel, aus einem Auge regnet es heftig. Und die Liebe erklärt hier nichts als sich selbst, indem der Augenblick zur Ewigkeit eingefroren wird.

Als Bildhauerin hat Claudia Klučarić vor allem Eisenskulpturen gemacht. 'communication systems' (1996-1998) ist eine bewegte Installation. Die 14 punktgeschweißten Skulpturen sind mit paßgenauen Markisenstoffhüllen versehen. Den Stoff kann man den Objekten an- oder ausziehen. Die Skulpturen können auch im Raum bewegt und in wechselnde Konstellationen gebracht werden. Das erotische Moment dabei ist evident. In ihrer Ausstellung im Künstlerhaus hat Klučarić KünstlerInnen wie Georgia Creimer und Werner Reiterer eingeladen, die Skulpturen nach ihren Vorstellungen zu arrangieren. Die Männer haben die Objekte bezeichnenderweise phallisch ausgerichtet, einer hat sogar einen Turm gebaut.

In der Videodokumentation zu 'communication systems' (mit dem Untertitel 'you are who you pretend to be') wird der aktionistische Aspekt ihrer Kunst deutlich. Man sieht Claudia darin die schwergewichtigen Eisentrümmer heben. Da ist zwar ein Trick dabei, aber Bildhauerei ist unter anderem Knochenarbeit und stärkt die Glieder. Einmal ist ihr beim Metallschneiden trotz Schutzbrille ein Eisensplitter ins Auge gedrungen, und ihre Gelenke haben unter ihrem bildnerischen Furor schwer gelitten.

In den letzten Jahren hat sie sich verstärkt mit dem nun auch nicht mehr so neuen Medium Video beschäftigt. Schon in der Zeit ihres Studiums an der Akademie der Bildenden Künste hat sie sich von Kuratoren anhören müssen, um zeitgemäß zu agieren, müsse man Videos machen. Und diesem Diktat hat sie sich lange eigensinnig verweigert. "Es ist dumm, Künstlern die Sprache, in der sie zu sprechen haben, vorzuschreiben. Aber wenn ich aus Protest dagegen die vorgeschriebene Sprache nicht verwende, obwohl ich das vielleicht ab und zu möchte, schränke ich mich nur selbst ein."

Zusammen mit Mischa Reska bildete Claudia Klučarić das Duo POOL. Worauf ihre gemeinsamen Aktivitäten wirklich hinausliefen, bleibt geheim. Vermutlich wollten sie die Kunstszene unterwandern. Durch ein Netz von Querverbindungen, das bei informellen Treffen immer fester geknüpft werden sollte. Von Zeit zu Zeit verschickten sie (vermutlich kodierte) Nachrichten wie: 'You can make errors of silence as easily as errors of sound'. Ein Stempel 'Standpunkt Widerstand' weist diesen Satz als unterschwellig politische Botschaft aus. Bei der "POOLraumeroberung" (1999) im ESC saßen die Künstlerinnen während der Vernissage in einer Badewanne. Über eine Videokamera konnten die Besucher dem Duo bei Körperpflege und Kosmetik zusehen. (Welche Einstellungen in den Nebenraum übertragen wurden, bestimmte allerdings POOL.) Die Trennung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit wurde in dieser mehrdeutigen Darbietung aufgehoben. Darüber hinaus das bürgerliche Ritual der Bilderbeschau bei Sekt und Brötchen durchbrochen.

Den ausgesprochenen und unausgesprochenen Vorgaben des Kunstbetriebs und seiner Funktionäre steht Klučarić skeptisch gegenüber. Obsessiv und unbeirrt arbeitet sie an ihrer Kunst, die immer mit ihrem Leben verbunden und deshalb existentiell ist. Die Lust und die Last des Daseins drückt sich in ihrem Werk teils irritierend spielerisch aus. Aber wer sich auf ihr ernsthaftes Spiel mit den verschiedenen Bedeutungsebenen einläßt, wird sich plötzlich auf schwankendem Grund vorfinden.

Ich hatte bald den Verdacht, daß das Feld, das sie bearbeitet, nah an meines grenzt. In ihrem Video 'Lebst du gerne?' (2003), das elf spontane Antworten auf die unerwartete Frage festhält, habe ich als einziger mit "Nein" geantwortet. Wobei ich gelächelt und die Augen geschlossen habe.

Wenn man versucht, Kunst begrifflich zu fassen, weicht die Kunst gerne zurück. Und Deutungen führen oft von Bildern (oder Texten) weg, sind inhaltliche Spekulationen, die mehr mit dem Betrachter als mit dem Bild zu tun haben.
Ich möchte trotzdem versuchen, meinen Eindruck von ihrem Video 'Parallelleben…hast du die Nacht genutzt?' (2004) wiederzugeben.
WHAT YOU SEE ist (!) WHAT YOU GET. Damit beginnt, was nicht endet. Wir sehen die Träumende. Von außen und innen. Wir sehen Bilder, die den Traum nicht zu bebildern versuchen, sondern ihn, ohne ihn zu deuten, auf eine andere Ebene bringen. Im Grunde schlafen wir – das ist ein altes Bild für etwas, das sich nur durch ein Bild sagen läßt. Und so bewegen wir uns durch Räume, die das cholinerge System, das Assoziationszentrum unseres Gehirns, mit dem wir auch träumen, uns erschließt. "Mach die Augen zu, was du dann siehst, gehört dir".
Mach die Augen zu und öffne dich dir…
Günter Eichberger

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