Claudia Klučarić

Text von Harald Jurkovič aus dem Katalog communication systems: GESTREIFT, erschienen zur gleichnamigen Ausstellung in der Galerie im Traklhaus, Salzburg 1997

Beziehungen/Bezüge


Kein Ding steht für sich allein. Erst im anderen, das ihm entgegen- und gegenübersteht, gewinnt es seine Existenz. Die Analogie ist Existenz in Form eines Spiegelbildes, in dem Gemeinsamkeiten sichtbar werden. Der folgende Text versucht eine solche Analogie herzustellen zwischen dem Werk 'gestreift' der Künstlerin Claudia Klučarić und einem Text, der von Pierre Klossowski stammt und den Titel Die Gesetze der Gastfreundschaft trägt.

ZAHL. 7 Körper, 7 Elemente eines Spiels. Vielleicht sind die Formen für sich lesbar, aber das wäre eine oberflächliche Lektüre, die sich in Ähnlichkeiten und Assoziationen erschöpft, während sich der Sinn in den Konstellationen, den Zwischenräumen und den darin sich aufbauenden und entladenden Spannungen entfaltet. Skulptur als kommunikatives System funktioniert nicht nach sprachlichen Regeln, sondern nach physikalischen. Scheinbar im Gegensatz dazu steht der Name, den Klossowski der Protagonistin seines Romans gibt: Roberte. 7 Buchstaben, zwei davon gleich. Die Willkür ihrer Zusammenstellung wird erst deutlich, wenn man die Parameter verändert, also zum Beispiel vom semantisch sinnvollen Gefüge zur alphabetischen Reihe wechselt: beeoRrt. Die Analogie des sprachlichen und des bildnerischen Systems liegt daher nicht auf der Ebene der Bedeutungen, sondern auf jener der Formen. Das setzt die prinzipielle Unabhängigkeit, die Autonomie der einzelnen Teile voraus, die beliebig gegeneinander verschoben werden können. Wie Klossowski, ausgehend von der Gedanken-Einheit des Wortes, Roberte in unterschiedlichen Situationen und Handlungszusammenhängen aufttreten läßt, die in ihrem Zusammenwirken den Namen mit einer Geschichte versehen und auf diese Weise eine - imaginäre - Physiognomie konstituieren, so arrangiert Claudia Klučarić die Elemente ihres skulpturalen Ensembles im Raum zu Konfigurationen, die ihrem Wesen nach dramatisch sind.

HAUT. Wenn sich der bunt gestreifte Markisenstoff um die blanken Metallkörper legt, sie wie eine Haut umspannend, in sich ein- und von ihrer Umgebung abschließend, dann ist das primär ein Prozeß des Unsichtbarwerdens. Hülle und Inhalt, Oberfläche und Materie, Schale und Kern: Das Verhältnis zwischen innen und außen stellt sich dar als eine Maske, eine Rolle vielleicht. Die Demaskierung trägt daher desillusionierende Züge, läßt aber auch deutlich werden, daß sich hinter dem manipulierbaren Äußeren ein widerständiges Inneres verbirgt. Solchermaßen entblößt tritt es ans Tageslicht. Was vorerst heimelig anmutet, wird, wenn es aus der Haut fährt, in die man es gesteckt hat, unheimlich und zugleich reizvoll. Klossowski hat die erotischen Implikationen dieses Vorgangs der Bekleidung/Verhüllung bzw. Entkleidung/Enthüllung in einer faszinierenden Passage anhand von Robertes Handschuh thematisiert. Die Beziehung vom Handschuh zur Hand, vom Stoff zur Haut, vom Zeichen, das diesen nur symbolisiert, zum eigentlichen Gedanken: Es ist klar, daß hier vor allem mit den Ausgeburten der Phantasie gespielt wird, deren Zentrum jeweils das eigene Begehren ist, das sich seiner Wünsche in versteckter Form - jede Form ist nur ein Versteck unserer Wünsche - entäußert.

GESETZ. Die Analogie läßt sich fortsetzen und gleichsam auf die Spitze treiben. Eines der Gesetze der Gastfreundschaft, das letzte und wichtigste, besagt, daß Roberte dem Besucher in sexueller Hinsicht zur Verfügung steht. Claudia Klučarić lädt Gäste ein, mit dem von ihr geschaffenen Material in einem definierten Rahmen nach Belieben zu hantieren. Der erotische Aspekt dieser Versuchsanordnung wird noch deutlicher, wenn man die den Eisenskulpturen angepaßten Stoffbezüge in die Überlegung miteinbezieht. Bekleidung/Verhüllung bzw. Entkleidung/Enthüllung stehen dem Gast anheim. Die Intervention eines Dritten eröffnet ein Spiel mit festgelegten Regeln und unendlichen Möglichkeiten. Im Dialog mit dem Gast entsteht das Werk jeweils neu. Das Thema der Variation vorgegebener Elemente und/oder Zeichen berührt aber nicht nur die Frage der Bedeutung, sondern auch die der Identität: Kein Teil vermag ohne den anderen zu existieren ohne zugleich ein anderer zu werden. Auflösung der Codes, (ver)fließende Zeichen, oder umgekehrt: "Wenn man (...) von dem alleingültigen Zeichen ausgeht, erscheinen die Bezeichnungen von Ich und Welt vollkommen willkürlich." (Klossowski) Wenn die Identität inkonsistent und flexibel wird, gewinnt die Kommunikation an Materialität und die Sprachlosigkeit der Dinge wird aufgehoben durch ihre Intensität, die sie als Wechselwirkung zwischen den Körpern - also zwischen sich und uns - entfalten.
Harald Jurkovič

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